Stoffwindeln für Erwachsene - das Interview

Nach dem ich mich bei einer Facebook-Gruppe als Stoffwindelberaterin vorgestellt habe, wurde ich von jemandem angeschrieben, der sich aufgrund seiner Inkontinenz für die Verwendung von Stoffwindeln entschieden hat. Netterweise war er dazu bereit ein Interview mit mir zu machen, um mehr Menschen davon zu berichten, dass es möglich ist auch als Erwachsener Stoffwindeln im Alltag zu verwenden.

Ich habe vorher nie wirklich darüber nach gedacht, finde dieses Thema und diese Entscheidung aber super klasse und möchte euch heute die Geschichte teilen. Im Weiteren habe ich auch einige Modelle an Stoffwindeln zusammengetragen, welche sich gut für Erwachsene eignen: 

 

Das Interview:


1. Warum benutzt du Stoffwindeln im Alltag? Seit wann?

 

Ich bin ganz generell dafür, so wenig Einwegmaterial wie irgend möglich zu benutzen. Wo immer es geht, benutze ich Dinge, die immer wiederverwendet werden können. So zum Beispiel auch Stofftaschentücher und Wischlappen aus Baumwolle an Stelle von Papiertüchern. Da die Stoffwindeln früher ja auch Standard in der Versorgung waren und durchaus eine gute und praktikable Lösung darstellen, habe ich fast völlig darauf umgestellt. Lediglich auf Reisen / Urlaub etc. mache ich noch manchmal eine Ausnahme. Da ich inkontinent bin, und diverse Behandlungsansätze wenig bis garnicht erfolgreich verliefen, gehe ich von einer sehr langen Nutzungsdauer aus, was die Anschaffung letztlich im besonderen Maße lohnenswert macht und auch der Umwelt besonders zu Gute kommt. Der Umstieg verlief jedoch nicht direkt. Ich hatte vorab schon einmal versucht umzusteigen und es mit verschiedenen waschbaren Einlagen / Windeln versucht, es dann aber doch wieder gelassen. Besonders außerhäusig hat es gedauert, bis ich zum einen den Mut dazu aufgebracht habe, mich auf dieses System zu verlassen, aber auch mich mit dem Handling vertraut gemacht habe, so das es praktisch umsetzbar wurde. Als regelmäßige Versorgung benutze ich sie jetzt seit etwa 4...5 Monaten. Zuerst nur zu Hause, später am Wochenende auch außerhäusig und schließlich ständig.

 


2. Wie bist du darauf gekommen Stoffwindeln zu verwenden?

 

Wie die meisten Betroffenen habe ich vorher Einwegmaterial verwendet. Angefangen bei Slip-Einlagen (Tena-Man) über Vorlagen und Pants. Eher zufällig bin ich in einem Sanitätshaus auf waschbare Überhosen aufmerksam geworden, welche ich eigentlich als zusätzlichen Auslaufschutz für Einwegmaterial einsetzen wollte. So konnte ich von den Pants zu Vor- bzw. Einlagen wechseln, und somit die Menge an Einwegmaterial bereits erheblich reduzieren, mich dabei aber trotzdem sicher fühlen. Es dauerte schon einige Zeit, bis ich mich mit dem System soweit „anfreunden“ konnte, so dass es irgendwann selbstverständlich zum Tagesablauf gehörte. Ähnliche Überhosen kannte ich noch von früher, als Stoffwindeln noch fast überall eingesetzt wurden. So kam es, das bei einem Gespräch im Kreise der Verwandschaft von früher gesprochen wurde, und eben auch über die klassische Wickelmethode mit Stoffwindel und Gummihose
(wurde bei uns so genannt). Eigentlich war es zuerst nur Neugierde, ob es nicht auch heute noch so gehen würde. Mit ein paar Mullwindeln aus alten Beständen fing es dann an. Da es sich als durchaus praktikabel erwies, habe ich weitere Mullwindeln angeschafft. Auch habe ich mir Ausführungen aus Molton bzw. Einlagen angesehen. Vom Handling und bei der Pflege (Waschen / Trocknen) zeigten sich die Mulltücher aus meiner Sicht jedoch als überlegen, da sie einfach zu reinigen sind und auch schnell trocknen. Ggf. ist es kein Problem sie in den Trockner zu geben (mache ich allerdings nicht).

 


3. Wie kommst du allgemein damit zurecht?

 

Nach einigen Versuchen, Erfolgen aber auch Misserfolgen, komme ich jetzt sehr gut mit dem System zurecht. An das Handling habe ich mich gewöhnt, so das es mittlerweile zum Alltag gehört. Die Haut macht keine Probleme und die Auslaufsicherheit ist gegeben, so dass ich mich darauf verlassen kann und mag. Unter der normalen Alltagskleidung fällt das System nicht auf (trägt nicht auf und raschelt vor allem nicht).

 


4. Was ist dein bewährtes System?

 

Ich benutze das „klassische System“, wie es früher (70er, 80er) durchaus üblich und bewährt war. Das heisst Mullwindeln aus Baumwolle (je nach Situation eine, bzw. zwei Stück zu einem Streifen gefaltet) und waschbare, undurchlässige Überhosen für Inkontinente aus dem Sanitätshaus. Dabei habe ich mich aus kostengründen, aber auch weil ich soweit gut damit zurecht komme, für die einfache Ausführung aus Kunststoff entschieden. Es gibt für empfindliche Hauttypen auch atmungsaktive Hosen aus PU, bzw. mit integrierten Netzhosen. Die günstigeren Ausführungen aus Folie trocknen dafür jedoch sehr schnell und sind recht günstig. Da ich sie ja langfristig immer wieder nutze, halte ich ihren Einsatz auch in Sachen Müllvermeidung für durchaus vertretbar. Die Mullwindeln habe ich im Einzelhandel beim ganz gewöhnlichen Babybedarf gefunden und erstanden. Auch hier sind die Kosten relativ gering, die Nutzung aber zeitlich kaum beschränkt. Einige der heute wieder verwendeten Windeln lagen bereits Jahrzehnte im Schrank, wurden zwischendurch als Spuktücher, als Lappen und für viele andere Anwendungen genutzt. 

 


5. Wie handhabst du das unterwegs?

 

Ich habe immer eine kleine, unauffällige Tasche mit Wechselmaterial dabei. Waren es zuerst noch Tüten, die ich für die benutzten Windeln nutzte, so habe ich mittlerweile einen Wetbag, der mitgewaschen wird und so ebenfalls keinen Müll mehr anfallen
lässt. Der Wechsel ansich ist auf einer Toilette kein großes Problem. Die Überhose behalte ich in der Regel an und tausche nur die Windel(n). Großer Vorteil ist dabei, das ich nicht, wie früher, die Vorlagen oder Pants entsorgen muss. Das macht es sogar ein Stück weit einfacher und diskreter.

 


6. Wie oft musst du waschen?

 

Ich wasche etwa alle vier bis fünf Tage. Dabei kommt dann eine 60-Grad-Trommel für Windeln und Überhosen sowie den Wetbag zusammen. Gut finde ich, dass ich die Sachen komplett gemeinsam in einer Trommel waschen kann. Auf Weichspüler verzichte ich dabei. Das ist besser für die Haut, erhöht die Saugkraft der Windel, schont die Überhosen und letztlich auch die Umwelt. Getrocknet wird auf der Leine.

 


7. Wie bewahrst du die Windeln bis dahin auf?

 

Ich spüle die benutzten Windeln abends kurz mit klarem Wasser aus und hänge sie dann auf einer separaten Leine zum trocknen. In der Regel sind sie binnen 24 Stunden trocken, so dass ich sie dann in einem Windeleimer gemeinsam mit den Überhosen bis zur Wäsche aufbewahren kann, ohne das es Gerüche gibt oder Schimmel entsteht.

 

8. Wie wäschst du sie?

 

Bei 60 Grad ohne Weichspüler, gemeinsam mit Überhosen und Wetbag.

 


9. Was sagen deine Freunde/ Bekannte dazu?

 

Jene, die davon wissen finden es gut und haben mich bei meinem Projekt sogar bestärkt. Einige halten es auch für übertrieben, sich die Mühe zu machen und sind der Meinung das es mit den „modernen“ Pants und Vorlagen doch einfacher wäre.  So ist es letztlich aber im Leben. Da hat sicher jeder seine eigene Meinung und eigene Vorstellungen. In der Regel wird aber kaum drüber gesprochen und ich denke das Interesse bei nicht Betroffenen ist da auch eher gering. Hinzu kommt, dass es ein mit Scham behaftetes Thema ist, und von daher auch wenig Austausch dazu stattfindet.

 


10.Was ist dein größtes Problem mit Stoffwindeln im Alltag?

 

Inkontinenz ansich ist ja bereits ein Tabuthema, dass, wo es geht, verschwiegen und versteckt wird. Es ist auch mir selbstverständlich nicht leicht gefallen (bzw. fällt es mir in manchen Situationen auch heute noch nicht leicht) mit einer gewissen Leichtigkeit oder Offenheit damit umzugehen. Da die Windeln und Überhosen aber nunmal gewaschen werden müssen und danach auf der Leine hängen, im Bad bereitliegen
oder man sich beim Arzt und in anderen Situationen manchmal auch in Unterwäsche zeigen muss, erfordert es schon eine Überwindung, das Thema so anzugehen und umzusetzen. Allerdings habe ich kaum negative Erfahrungen dabei machen müssen, so das es mir mit der Zeit einfacher fällt. Mittlerweile bin ich sogar ein wenig Stolz, mich dem Thema gestellt zu haben und dabei nicht einfach nur eine billige, sondern auch gute und nachhaltige Lösung gefunden zu haben. So fällt es mir im kleineren Kreis schon leichter darüber zu sprechen und dazu zu stehen.

 


11.Was würdest du dir von unserer Gesellschaft wüschen? (z. B. andere Menschen mit Inkontinenz, Mitmenschen, Krankenkasse)

 

Es scheint gesellschaftlich irgendwie immer noch Konsenz zu sein, das Menschen, welche inkontinent sind, sich selbstverständlich dafür schämen, nicht drüber reden und mit den vorgegebenen Einweglösungen der Krankenkassen zufrieden geben. Wer etwas „neues“ oder alternatives ausprobiert, wird erst einmal verständnislos von der Seite angesehen. Ich würde mir einen offeneren Umgang, auch mit diesem Thema wünschen. Gerade unter Betroffenen herrscht dabei das geringste Verständnis, warum man sich nicht mit den „segensreichen“ Einwegartikeln oder Kathedern zufrieden gibt. Seitens der Kassen wird nur das Billigste und mit bestimmten Lieferanten verhandelte Material ohne größere Kosten für den Betroffenen abgegeben. Es ist sehr schade, das es hier nur noch um´s Geld geht. Die Bedürfnisse der Betroffenen oder gar Umweltaspekte werden dort völlig ausgeblendet.

 


12. Was möchtest du noch sagen?

 

Es ist sicherlich nicht für alle Betroffenen das ideale System, Stoffwindeln zu nutzen. Gerade im Bereich der Pflege (Heime, Krankenhäuser) ist es auch aufgrund von Hygienevorschriften und dem damit verbundenen Arbeitsaufwand vermutlich keine Alternative zum Einweg. Für viele jüngere oder mobile Personen mit leichten und mittleren Formen der Inkontinenz kann es aber durchaus eine gute Alternative sein. Ich würde mich freuen, wenn mehr Menschen den Mut aufbringen und es ähnlich versuchen würden.